Wie erlangt man eine Fertigkeit?

„Ich lerne gerne“. Dieser Satz stößt oft auf Unverständnis. Allerdings ist hier nicht nur lernen mit dem Kopf gemeint, so wie man das z.B. aus der Schule kennt. Auch Sportarten, Tanz und Musik sind hier gemeint. Und Bewegungsabläufe, Balance und Kraft. Und Zeichnen, Kochen und noch vieles, vieles mehr… All das ist mit Lernprozessen verbunden. In manchen Fällen lernt der Kopf, in anderen Fällen die Muskeln und der Kreislauf, oder die Nase und das Auge. Denn jeder Teil unseres Körpers ist in der Lage zu lernen: Das Herz lernt effektiver Blut durch den Körper zu pumpen wenn man Ausdauersport betreibt, und dies macht sich in einem geringeren Ruhepuls bemerkbar. Die Leber lernt Alkohol effektiver abzubauen wenn man regelmäßig Alkohol trinkt, und dies wird in einer größeren Alkoholtoleranz sichtbar. Die Zunge lernt geringfügig andere Position beim Sprechen einzunehmen wenn man eine neue Sprache erlernt, und dies wird an einer immer besseren Aussprache hörbar.

Was bedeutet „Lernen“ also überhaupt? Laut Wikipedia ist es der „absichtliche oder beiläufige Erwerb von Fertigkeiten“, wobei „Fertigkeit“ recht allgemein einen „erworbenen Anteil des Verhaltens“ bezeichnet. Jedes Lernen hat also das Erlangen einer Fertigkeit zum Ziel. Und in aller Regel erleichtern oder bereichern Fertigkeiten unser Leben, wie z.B. die Fertigkeit des Kochens, oder die Fertigkeit zu musizieren, oder Fertigkeiten die man für seinen Beruf benötigt.

Fertigkeiten sind auch in aller Regel attraktiv für uns Menschen. Das Erlangen großer Fertigkeit gilt auch heute nach wie vor als erstrebenswert, und meist bewundern oder beneiden wir Menschen mit großen Fertigkeiten, wie Top-Athleten, Popstars oder Schauspieler. Wir alle wissen, dass es nicht einfach ist, gut in etwas zu werden, geschweige denn Meisterschaft in einer Fertigkeit zu erlangen, und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum wir andere Menschen bewundern, die genau dies geschafft haben.

Also, wie wird man gut in etwas? Ist das möglich für jedermann oder muss man außergewöhnlich begabt sein? Muss man Leidenschaft dafür haben? Oder ist alles eine Sache der Übung? Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass Begabung ein gutes Sprungbrett ist. Mit manchen Begabungen kommen wir auf die Welt, und in diesen Bereichen sind wir den meisten unserer Mitmenschen erstmal ein Stück voraus. Zum Beispiel kann ich ein begabter Tänzer sein, und wenn ich dann zum ersten Mal einen Tanzkurs besuche werde ich viele Komplimente zu hören bekommen wie gut ich doch tanzen kann. Allerdings reicht Begabung alleine nicht aus, denn nur durch regelmäßiges Üben und Anwenden des Erlernten können wir eine Fertigkeit in uns voranbringen. Wenn ich also zwar ein begabter Tänzer bin, aber außerhalb des Tanzkurses nicht regelmäßig tanze, so werden mit Sicherheit nach einem halben Jahr andere Schüler besser tanzen, die regelmäßig zum Tanzabend gehen.

Womit wir dann schon bei der Leidenschaft sind. Sie ermöglicht uns, regelmäßig eine Fertigkeit zu üben, da es uns einfach Spaß macht uns mit der Sache zu beschäftigen. Wenn ich zum Beispiel eine Leidenschaft für das Backen habe, so fällt es mir leicht, mich immer wieder in die Küche zu stellen, Kuchen zu backen und neue Rezepte auszuprobieren, und ganz von alleine werde ich eine gewisse Fertigkeit im Backen entwickeln.

Allerdings ist weder Begabung noch Leidenschaft absolut notwendig um gut in etwas zu werden. Es ist sicherlich hilfreich, und ab einem gewissen Fertigkeitsgrad auch absolut unabdingbar. So ist es z.B. schwer vorzustellen, dass ein Fußballer von Weltklasse ohne Begabung und Leidenschaft so gut im Fußball hätte werden können. Aber um ein Fertigkeitslevel zu erlangen, welches mich selber in meinem Alltag bereichert, ist weder Leidenschaft noch Begabung eine notwendige (wenn auch hilfreiche) Voraussetzung.

Angenommen, ich möchte lernen Gitarre zu spielen, habe aber mein ganzes Leben noch nie ein Instrument gespielt, wie gehe ich am besten vor? Oder ich möchte lernen im Handstand zu stehen. Oder ein besserer Zuhörer sein. Oder mehr Selbstbewusstsein ausstrahlen. Jeder von uns hat unzählige Dinge auf seiner mentalen Liste die er gerne lernen würde, aber oft gehen wir nur halbherzig an die Dinge heran, und hören dann nach einer Weile wieder auf weil andere, vermeintlich wichtigere und bereits gewohnte Dinge dazwischen kommen.

Was also haben Menschen gemeinsam die Meisterschaft in einer Fertigkeit erlangt haben? In aller Regel haben sie über Jahre oder Jahrzehnte immer wieder und wieder diese Fertigkeit geübt. Dies kann sogar völlig unbewusst ablaufen. So ist in der Regel jeder erwachsene Mensch ein Meister im aufrechten Gang, und hat bereits als Kind diese Fertigkeit völlig unbewusst angefangen zu lernen. Denn niemand kommt auf diese Welt und kann sofort aufrecht gehen. Als Kind müssen wir dies mühsam erlernen, und fallen unzählige Male hin bevor wir zuverlässig aufrecht gehen, stehen, rennen und springen können. Und dies völlig ungeachtet davon ob der Mensch motorisch begabt ist oder leidenschaftlich gerne laufen geht.

Wenn ich mich nun also bewusst dafür entschließe eine Fertigkeit zu erlangen, wie muss ich vorgehen um die Wahrscheinlichkeit für Erfolg zu maximieren? Das wichtigste ist meiner Erfahrung nach, als allererstes eine Übungspraxis zu etablieren, also noch bevor überhaupt irgendetwas „gelernt“ wird. Dies ist aus den folgenden Gründen wichtig: Besser wird man nur durch konstantes Üben. Üben kann aber vor allem am Anfang sehr anstrengend sein, und wenn unser Alltag anstrengend wird, haben wir in aller Regel keine Energie mehr um neue Sachen zu lernen. Eine konstante Übungspraxis ist auch unabdingbar, wenn nur wenig Leidenschaft für das zu Erlernende vorhanden ist, z.B. weil wir uns entschlossen haben regelmäßig Sport zu treiben weil das absolut notwendig für unsere Gesundheit wäre, aber bisher in unserem Leben nicht wirklich Spaß an Sport hatten. In diesem Beispiel könnte ein morgendlicher 10-minütiger Spaziergang als Ausgangspunkt dienen, welcher jeden Tag gemacht wird. Dies dient der Etablierung einer Gewohnheit, welche es uns später leichter macht, darauf aufzubauen. Sobald man feststellt, dass man nun aus Gewohnheit jeden Morgen rausgeht, kann der Spaziergang in einen kleinen Lauf umgestaltet werden. Der innere Schweinehund muss auf diese Weise überhaupt nicht mehr überwunden werden, da das morgendliche Rausgehen bereits zur Gewohnheit geworden ist.

Möchte ich ein Instrument lernen, so kann ich damit anfangen mich jeden Tag maximal 5-10 Minuten mit dem Instrument zu beschäftigen. Dabei muss ich erstmal überhaupt nichts „lernen“, sondern mich einfach mit dem Instrument hinsetzen und schauen was passiert. Sobald das Hinsetzen mit dem Instrument zur Gewohnheit geworden ist, kann ich anfangen zu lernen.

Das Lernen passiert dann am besten mit Unterstützung durch einen Lehrer, Trainer, oder anderweitigen Experten. Dies kann in der Form von Unterricht oder begleitender Übungspraxis geschehen. Auch ein Buch oder Onlinekurs kann als Lehrer dienen. Fortschritte können auch ohne Lehrer erzielt werden, allerdings macht die Unterstützung durch einen Lehrer in aller Regel wesentlich schnellere Fortschritte möglich als das allein der Fall wäre, einfach weil viele Fehler und Sackgassen gleich von Anfang an vermieden werden können.

Sobald eine konstante Übungspraxis etabliert ist und das Lernen durch Lehrer, Trainer etc. begleitet wird, kann es förderlich sein sich um Auszeiten zu kümmern. Dies ist im Fall von zu viel Leidenschaft angebracht, wo es leicht zur Verausgabung und Überlastung durch zu viel Übung kommen kann. Wenn die Übungspraxis davor fest etabliert wurde, stellt es in aller Regel auch kein Problem dar sie wieder aufzunehmen. Auszeiten sind wichtig um das Gelernte in Körper und Geist zu integrieren, und oft kann man feststellen dass sich nach einer Auszeit die Fertigkeiten wie von selbst verbessert haben, obwohl man überhaupt nicht geübt hat.

Meiner Erfahrung nach ist eine Übungsfrequenz von 2-3 mal pro Woche notwendig und hinreichend, um innerhalb von 2 Jahren ein Level in einer Fertigkeit zu erlangen, welche dann im Alltag viel Freude bereiten kann. Dabei ist es unerheblich ob es sich um geistige Fertigkeiten wie Schach spielen oder musizieren handelt, oder um körperliche Fertigkeiten wie Gewicht heben oder Yoga. Zum Erlernen neuer Fertigkeiten gehören also konstantes und regelmäßiges Üben, begleitet von regelmäßigen Pausenzeiten, und idealerweise Unterstützung durch einen Trainer oder Lehrer, der diesen Prozess bereits durchlaufen hat.

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