Essen will gelernt sein!

Was macht ein Essen aus, nach dem man sich so richtig gut fühlt? Also gesättigt, d.h. voll und zufrieden. Klar, es muss allen voran natürlich erstmal schmecken. Das allein reicht aber nicht aus, den schmecken tut auch eine Tafel Schokolade, und wenn man eine richtige Mahlzeit durch Schokolade ersetzt, wird man sich danach nicht zufrieden fühlen.

Beim Essen spielen zwei Dinge eine wesentliche Rolle: Ich selbst, und das Essen auf meinem Teller. Reden wir zuerst über das Selbst welches isst: Das gleiche Essen kann sehr unterschiedlich schmecken, je nachdem ob ich Hunger habe oder nicht, oder ob ich das gleiche Gericht bereits 5 Tage hintereinander gegessen habe. Für ein leckeres Essen sind zwei Komponenten des Selbst ausschlaggebend, und zwar Hunger und Appetit. Der Hunger sagt uns dass wir essen sollen, und der Appetit sagt uns was wir essen wollen. Beides kann beeinflusst werden. So lässt sich z.B. Hunger durch permanentes Snacken verringern, und durch Aktivität an der frischen Luft erhöhen. Der Appetit ist da schon indirekter, so ist er z.B. gering wenn wir traurig oder wütend sind, und groß wenn wir Spaß am Leben haben. Hunger kommt aus dem Magen, Appetit aus dem Geist. Je größer der Hunger, desto weniger spielt es eine Rolle, ob das, was wir essen uns auch gut schmeckt. In der Tat schmeckt mit genügend Hunger irgendwann alles, auch Essen das wir üblicherweise nicht mögen. Umgekehrt ist es so, je kleiner der Hunger, desto wichtiger ist der Appetit. Die meisten Menschen würden mit kleinem Hunger eher ein Snickers essen als eine Kartoffel.

Hunger und Appetit haben dabei je zwei Seiten. Der Hunger sagt uns, wann wir etwas essen sollten (Hunger), und wann wir besser nichts essen sollten (Sättigung). Der Appetit sagt uns, was wir essen wollen (Appetit), und was wir besser nicht essen sollten (Abneigung). Um präzise zu sein, wird hier Hunger und Appetit kursiv geschrieben, wenn die Paare Hunger-Sättigung und Appetit-Abneigung gemeint sind.

Nun ist es leider so, dass in unserer heutigen Welt weder Hunger noch Appetit im Kindesalter besonders geschult werden, im Gegenteil, es wird uns beigebracht unsere angeborene Intelligenz hier zu großen Teilen zu ignorieren. Wie in vielen anderen Haushalten auch, wurde bei uns noch „gegessen, was auf den Tisch kommt“. Es wird also früh gelernt, den eigenen Appetit (genauer: Abneigung) zum Wohle des Hausfriedens zu ignorieren. Auch musste gegessen werden bis der Teller leer war, was nur gelingt wenn das eigene Hungergefühl (genauer: Sättigung) unterdrückt wird. Nun ist das beschriebene Szenario natürlich nicht nur negativ, denn gleichzeitig heißt das auch, das mehr als genug Essen vorhanden war, also kein Hunger gelitten wurde, und die Auswahl an Nahrungsmitteln reichlich war, so dass oft gegessen werden konnte worauf Appetit bestand. So entwickeln sich also Hunger und Appetit normal, während gleichzeitig ein Problem mit Sättigung und Abneigung entsteht.
Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass sich dies in anderen Teilen der Welt anders darstellt. So werden Kinder aus armen Teilen der Erde eher ein Problem mit Hunger und Appetit entwickeln, da sie ihren Hunger oft ignorieren müssen und keine Auswahl beim Essen haben, aber vermutlich ein gesundes Verhältnis zur Sättigung.

Im Erwachsenenleben setzt sich das erlernte Muster dann fort. Oft essen wir mehr als uns gut tut, weil wir verlernt haben den Sättigungspunkt wahrzunehmen, und auch oft das für uns Falsche, weil wir unsere innere Abneigung abtrainiert haben. Als Beispiel sei hier Alkohol genannt: Kinder und junge Erwachsene haben oft eine natürliche Abneigung gegen Alkohol, welche im Teenageralter aber durch viel Übung und sozialen Druck abtrainiert wird. Oder wir ignorieren unseren Hunger im stressigen Arbeitsalltag, und machen erst Mittagspause, wenn der Hunger schon riesig und fast unerträglich geworden ist.

Der Autor hatte das große Glück, dass seine indische Frau ein gesundes Verhältnis zu Sättigung und Abneigung hatte, so dass er hier mit Anfang dreißig wieder ein Gefühl dafür entwickeln konnte.

Kommen wir nun zum zweiten Aspekt gelungenen Essens: Das was vor mir auf dem Teller ist. Hier gibt es zahlreiche Dimensionen, die zu kennen und unterscheiden viel zu einem gelungenen Essen beitragen können. Zuerst sind hier natürlich die 5 Basisgeschmäcker zu nennen: Süß, Sauer, Salzig, Bitter, und Herzhaft (Umami). Weiterhin gibt es noch Qualitäten wie Textur, Temperatur, Würze, Schärfe, Fett- und Eiweißgehalt. Alle diese Qualitäten tragen zu einem gelungen Essen bei, und ihre Ausbalancierung beim Kochen erfordert viel Übung und Erfahrung. Ein gutes Essen enthält alle Basisgeschmäcker im richtigen Verhältnis, und auch die anderen Dimension müssen ausbalanciert sein. Beispiel Salat: Der Salat selbst ist bitter, die Salatsauce ist süß/sauer/salzig, und das Herzhafte kommt entweder mit einem Hauptgericht hinzu, oder bei vollwertigen Salaten in Form von fermentierten oder gerösteten Zutaten. Ein anderes gutes Beispiel ist der Burger: Das Fleisch gibt das Herzhafte, der Speck ist salzig/herzhaft, die Sauce wiederum süß-säuerlich, die Salatblätter bitter. Auch die anderen Dimensionen sind in einem guten Burger ausbalanciert: Schärfe, Kontrast in der Textur (z.B knuspriger Bacon und weiches Brot), Gewürze und Temperatur (ein kalter Burger schmeckt auch nicht mehr so gut).

Weiterhin ist unsere Umwelt entscheidend daran beteiligt, welches Essen uns schmeckt und gut tut. So werden im Frühling und Sommer kühlende und leichte Getränke und Speisen bevorzugt, und im Herbst und Winter kräftige und wärmende Speisen. Bei alkoholischen Getränken ist das den meisten Menschen auch einleuchtend: Glühwein ist für den Winter, Hugo für den Sommer. Die wenigsten Menschen würden auf die Idee kommen das umzudrehen. Die Einteilung von Speisen in kalt, kühlend, wärmend und erhitzend ist tatsächlich ein wesentliches Konzept in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Damit ist nicht die Temperatur der Speise gemeint, also ob das Essen heiß oder kalt ist, sondern die Wirkung auf den Körper. So wirkt z.B. Ingwer stark erhitzend, auch wenn er kalt gegessen wird. Pfefferminze wirkt kühlend, auch wenn es als heißer Tee getrunken wird. Sich über die thermischen Eigenschaften seines Essens bewusst zu sein, kann viel zum eigenen Wohlbefinden und der Gesundheit beitragen. Sofern saisonal gekocht wird erledigt sich das meistens von selbst, denn fantastischerweise produziert die Natur genau das, was wir zu den unterschiedlichen Jahreszeiten brauchen. Die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln aus anderen Teilen der Erde im Supermarkt hat es allerdings anspruchsvoller gemacht, die jeweils passenden Lebensmittel auszuwählen.

Richtiges Essen will also gelernt sein. Hat man Glück und lernt das in der Kindheit, so muss man sich im Erwachsenenalter um diese Dinge selten Gedanken machen. Lernt man diese Dinge allerdings nicht als Kind oder junger Erwachsener, so wird man sehr wahrscheinlich früher oder später Beschwerden mit seiner Verdauung bekommen, und rätseln wo diese denn herkommen. Hier hilft dann nur konstante (Selbst-) Weiterbildung, und auch die Hilfe durch einen Ernährungscoach kann dann sehr wertvoll sein.

Falls Dir die Ideen in diesem Artikel trivial und offensichtlich erscheinen, dann hast du Glück und diese Dinge vermutlich bereits als Kind gelernt. Falls Du die hier vorgestellten Ideen und Konzepte faszinierend fandest, dann hast Du als Erwachsener wahrscheinlich schon öfters unter Verdauungsbeschwerden gelitten. Ich hoffe dann, das Dir dieser Artikel Anregungen gegeben hat, was du für Deine Verdauung tun kannst, und die Gewissheit, dass eine gute Verdauung „erlernt“ werden kann.

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