Du fühlst wie du fühlst

Du fühlst wie du fühlst, aber du entscheidest wie du bist.

Jeder von uns kennt Gefühle, die er nicht fühlen will. Ärger, Wut, Angst, Verzweiflung, Traurigkeit. Das Gefühl unfair behandelt zu werden, ausgenutzt zu werden, zu kurz zu kommen. Regelmäßig jedoch finden wir uns in Situationen wieder, wo diese Gefühle auftauchen. Wir verlieren unsere Arbeit, und fühlen Existenzangst. Wir werden ausgenutzt, und sind beschämt und wütend. Wir verlieren einen nahestenden Menschen, und fühlen unsägliche Traurigkeit. Diese Gefühle sind oft schwer zu ertragen.

Aber auch im Alltag gibt es Situationen in denen unangenehme Gefühle auftauchen, z.B. in Eile im Supermarkt in der falschen Schlange vor der Kasse zu stehen, oder im Verkehr von einem anderen Verkehrsteilnehmer unmöglich geschnitten zu werden. Es gibt zahlreiche Gelegenheiten sich aufzuregen, zu ärgern, zu resignieren und zu jammern.

Die meisten von uns wählen eine von zwei Strategien um mit unangenehmen Gefühlen umzugehen: Entweder wir leugnen sie, oder wir lassen uns von ihnen mitreißen. Gefühle zu leugnen fängt damit an, sich nicht einzugestehen dass eine externe Situation einen Einfluss auf unser Innenleben ausübt. Dies kann passieren wenn man ein Gefühl als bedrohlich erlebt, oder schlicht und einfach Angst hat dieses Gefühl zu fühlen. Immer wieder Gefühle zu leugnen führt zu einem Gefühlsstau, der selten nach außen sichtbar ist, nur selten zum Vorschein kommt, aber wenn dann richtig. Um über einen längeren Zeitraum seine Gefühle leugnen zu können, sind Ausweichmechanismen notwendig. Dies können Verhaltensweisen sein, z.B. exzessives Arbeiten, permanente Geschäftigkeit, oder obzessive Hobbies und Gedanken. Auch Substanzen sind ein guter Fluchtweg vor geleugneten Gefühlen: Alkohol, Kaffee, Drogen, aber auch Essen, Süßigkeiten, dies alles kann zum Ausweichen vor unerwünschten Gefühlen benutzt werden. Denn oft können wir damit kurzfristig ein angenehmes Gefühl erzeugen. Dauerhaft schaden uns diese Verhaltensweisen jedoch mehr als sie nutzen. Dies wissen die allermeisten aus eigener Erfahrung, denn die meisten Menschen haben mindestens ein oder zwei dieser Verhaltensweisen oder Substanzen in ihrem Leben. Wir spüren das wir zu viel Kaffee trinken, zu viel rauchen, zu viel Süßes essen oder wie besessen arbeiten. Und doch können wir es irgendwie nicht lassen.

Die zweite Strategie mit unangenehmen Gefühlen umzugehen ist sich komplett von ihnen mitreißen zu lassen. Gefühle sind immer ein Handlungsaufruf in uns. Im Englischen wird Emotion oft als „Energy in motion“ bezeichnet, und in der lateinischen Wurzel emovere steckt auch die Heraus-Bewegung drin. Unangenehme Gefühle machen uns in der Regel auf einen Zustand aufmerksam, den wir so nicht tolerieren möchten. Sich von seinen Gefühlen mitreißen zu lassen zeigt sich darin, dass das Gefühl voll und ganz akzeptiert, aber der Handlungsaufruf ignoriert wird. In solch einem Zustand sehen wir uns als Opfer der Umstände, als unfair behandelt oder zu kurz gekommen, und dies rechtfertigt dann unsere schlechte Laune, unser Jammern, und unsere Passivität. Während beim Gefühle leugnen weder das Umfeld noch wir selber von dem Gefühl direkt etwas mitkriegen (nur indirekt über die Ausweichmechanismen, oder in den seltenen Fällen wo es doch einmal rauskommt), wird beim sich-mitreißen-lassen das Umfeld gerne mitgezogen. Wir jammern uns selbst und unseren Freunden die Ohren voll, beschweren uns permanent wie unfair wir behandelt werden und lassen das gerne jeden wissen (nur selten die die es betrifft), und lassen unsere Laune an anderen aus. Auch ein Streit eskaliert schnell wenn sich beide Seiten von ihren Gefühlen mitreißen lassen. In solch einer Situation bestimmt unser Gefühl unsere komplette Wahrnehmung, und wir müssen erst wieder zur Ruhe kommen um einen klaren Gedanken fassen zu können. Wenn wir es dann einmal schaffen innerlich wieder still zu werden, und sei es auch nur für einen kurzen Moment, so ist die Handlungsaufforderung oft klar und deutlich spürbar.

Warum ist es also so schwer bei starken Gefühlsregungen einen klaren Kopf zu bewahren, und so einfach sich von ihnen davontragen zu lassen? Oft macht uns der Handlungsaufruf Angst, denn er fordert ein Handeln von uns welches neu und ungewohnt für uns ist: Du fühlst dich bei deiner Arbeit unterbezahlt und willst mehr Gehalt, aber dein Chef ist nicht deiner Meinung? Die gefühlte Geringschätzung fordert dich auf deinem Chef ehrlich deine Meinung zu sagen, und möglicherweise einen Konflikt zu riskieren, oder dich nach einem neuen Job umzusehen, und ins unbekannte zu tauchen. Beides kann sehr beängstigend sein. Oder du fühlst dich von deinem Partner vernachlässigt. Dieses Gefühl kann eine Aufforderung sein offen und ehrlich mit deinem Partner über deine Gefühle zu sprechen, oder auch dich besser um dich selbst zu kümmern. Beides kann ungewohnt sein und erfordert Mut und Verletzlichkeit.

Du fühlst wie du fühlst. Wenn ein Gefühl einmal da ist, so ist es erstmal nicht zu ändern, und es gibt einen Grund für dieses Gefühl, auch wenn wir den manchmal nicht erkennen können. Statt dieses Gefühl zu leugnen oder sich davon mitreißen zu lassen, können wir es auch akzeptieren und einfach mal einen Moment so stehen lassen. Dies ist oft sogar einfacher, denn auf einmal haben wir die Energie wieder für uns die wir vorher in die Abwehr oder Leugnung des Gefühls gesteckt haben. Oft ergibt sich dann ganz von selbst der richtige Umgang damit. Dieser Umgang ist dann nicht mehr ausweichend oder rein reagierend auf die externe Situation, sondern kommt aus einer tieferen Akzeptanz dessen was im Augenblick in uns ist. Die Richtung in die wir gehen wollen wird dann klar, und wir gehen diesen Weg in Übereinstimmung mit unseren Gefühlen, nicht dagegen. Die Konsequenzen die aus unserer Entscheidung folgen sind dann annehmbar geworden, denn wir gehen den Weg in Übereinstimmung mit uns selbst.

Ich hoffe der Artikel hat dir geholfen etwas klarer umzugehen mit welchem Gefühl und welcher Situation auch immer du gerade konfrontiert bist. Beim Schreiben hat er mir einen Moment des Innehaltens und der Klarheit ermöglicht, und möglicherweise tut er das auch bei dir.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert